2009 New York FlyNY
In einer Serie „ungewöhnliche Plätze zum Drachenfliegen“ wäre New York sicher eine besondere Erwähnung wert. Die Metropole an der Ostküste der USA mit ihrer bekannten Skyline und ihren Stadtteilen Manhattan, Bronx, Brooklyn, Queens und Staten Island gilt trotz starker asiatischer Konkurrenz noch immer als Prototyp einer Megacity, als Symbol für Vielfalt und hippen Lebensstil. Umso erstaunlicher, dass Anfang März dieses Jahres in einer online Publikation aktueller Architektenwettbewerbe ein Eintrag über einen Drachenwettbewerb für Architekten und Designer mitten in New York erschien. An Drachenfliegen denkt man bei New York erst einmal nicht. Bisher hatte ich vor allem an Wettbewerben mit anderen Drachenbauern teilgenommen, jetzt war Gelegenheit sich mit Architektenkollegen in einem anderen Rahmen zu messen.
Eine spontane Entwurfsidee, Ergebnis einer schlaflosen Nacht, trug ihren Teil dazu bei eine Teilnahme an der FlyNY competition ins Auge zu fassen.
Nach einem Blick auf die Webseite www.flyny.org war schnell klar, dass die Organisatoren vor ihrem Erstlingswerk standen, die Regeln für die Teilnahme eher spontaner Natur waren und so manchem ernsthaften und langjährigen Organisator von Drachenwettbewerben Schweißperlen auf die Stirn getrieben hätten. Organische Materialien und Aspekte der Nachhaltigkeit waren erwünscht, die Flugfähigkeit der Objekte allerdings nicht wirklich erforderlich.
Damit würde ich zwar nicht dienen können, aber wenn sich eine Idee erst einmal eingeschlichen hat, lässt sie einen nicht mehr los. Die Entwurfsarbeit mit Modellen im Maßstab 1:10 und die Übertragung der Skizzen in das CAD machten mir klar, dass ich meinen Wettbewerbsbeitrag, eine abstrakte Struktur der New Yorker Großstadtelemente, unbedingt bauen musste.
Eine weitere Regel des Wettbewerbs besagt, dass die Siegerdrachen für eine Auktion gespendet werden sollten, deren Erlöse einem wohltätigen Zweck zugeführt würden. Was also wenn mein Drachen gewinnt ? Dann ist er weg! Mit dem von mir geplanten Edo mit 3,30 m Standhöhe, 2 Segeln und 600 m Waageleine ist ein finanzieller Aufwand verbunden, der nicht aus der Portokasse zu bezahlen ist.
Mit dem Online Shop für Drachen und Freizeitartikel Volango www.volango.de und Shopmanager Martin Schob war schnell ein Sponsor gefunden, der die notwendigen Materialien kurzfristig und in erstklassiger Qualität zur Verfügung stellte.
Die Arbeit mit den Modellen, die Namensfindung und der Bau des Drachens „city of glass“ wird in einer der nächsten Ausgaben von Kite & Friends ausführlich beschrieben und wir können jetzt einen Zeitsprung bis Anfang Mai und einen Ortswechsel direkt in das Herz von „big apple“ machen.
Die Stadt zu beschreiben würde Bücher füllen. Architektur, Kunst und Streetlife, nicht zu vergessen Shopping und Travelling, horizontal und vertikal, - man weiß nicht, was man zuerst tun soll. Man treibt tagelang durch die Stadt, die niemals schläft, kein Anfang und kein Ende ist zu erkennen.
Aber wir wollten auch Drachenfliegen, ein Blick auf Google Earth hilft, die wenigen unbebauten und baumfreien Flächen zu erkennen. Prospect Park in Brooklyn, Roosevelt Island im Eastriver, Coney Island an der Südspitze von Brooklyn und natürlich der Central Park, die grüne Lunge von Manhattan, bieten sich an.
Wir hatten uns für die letzten beiden Locations entschieden und es nicht bereut. Coney Island in der Vorsaison hat den morbiden Charme eines Vergnügungsparks, dessen beste Zeiten schon 30 Jahre zurückliegen. Das Highlight der Saison ist das Hotdog Wettessen, das im Fernsehen live übertragen wird und dessen Sieger gut und gerne 59 dieser Köstlichkeiten der Fastfood Küche in unglaublichen 10 Minuten verschlingen sollte. Der breite Strand war menschenleer, der Wind leicht und gleichmäßig, unser Edo stand stundenlang am Himmel, für mich als Bewohner einer Mittelgebirgsregion immer von neuem faszinierend.
Im Central Park war alles anders. Zu den bisher bekannten Windrichtungen kommt eine weitere hinzu, nämlich senkrecht von oben nach unten. Die Verwirbelungen durch die Wolkenkratzer und die Bäume des Parks sind so stark, dass der Drachen wie von Geisterhand bewegt senkrecht nach oben und unten gezerrt wird. Das etwas ungewöhnliche Flugverhalten wird durch die einmalige Kulisse entschädigt, der rote Drachen vor grüner Natur und Architektur aus Stein, Glas und Beton - genau so hatte ich mir das erträumt.
Der Wettbewerb rückte näher und so zogen wir am Samstag den 9.Mai vormittags zum Pier 1 am Hudson River, wo die Veranstaltung stattfinden sollte.
Alles war bestens organisiert, Listen zur Einschreibung waren ebenso vorbereitet wie der Terminplan und die Stände der Sponsoren, die Warenproben für Getränke und Lebensmittel verschenkten. Fünf verschiedene Bands spielten den ganzen Tag Livemusik und gut 2 Dutzend „Volunteers“ sorgten für den reibungslosen Ablauf des Tages. Sie leiteten hunderte Kinder beim Drachenbau an und unterstützen die Jury und die Organisatoren bei all den Kleinigkeiten, die erst dann auffallen, wenn sich niemand darum kümmert. Jetzt zeigte sich, dass ich als einziger Teilnehmer Routine im Drachenbauen hatte, alle anderen waren Architekten und Studenten, die ihre Erstlingswerke und Skizzenmodelle mitgebracht hatten. Interessante Ansätze waren eine völlig reduzierte Box aus Acryl oder die Ergänzung der Skyline mit einem großformatigen Drachen, der am besten als eine Mischung aus einem open keel Delta und einer 2-Leinermatte angesehen werden kann. Auch Duschvorhänge eines schwedischen Möbelhauses und Baumwoll Doppelripp Unterhosen wurden im Sinne des Drachen- und Windspielbaus neu interpretiert. Am besten gefiel mir persönlich der Beitrag von Emily Fischer, die eine zusammenfaltbare Tetraedervariante aus Papier und Strohhalmen vorstellte. Sie erreichte damit den zweiten Platz. Ich startete auf dem 15 m breiten Pier meinen Edo mit 33 m Waage mit einem gewagten Sideslide zwischen den Laternen und wurde am Ende des Tages als Sieger geehrt.
Die Jury bestand aus einem illustren Kreis von Designern, Journalisten und Museumsdirektoren, die sich nicht groß mit Punkteverteilungen in bestimmten Kategorien aufhielt, sondern in einer Diskussionsrunde die Beiträge als Ganzes bewertete. Wenn notwendig wurde einfach ein zusätzlicher Preis ausgerufen, zum Beispiel für die spektakulärste Landung.
Meinen Preis, eine Führung mit Daniel Libeskind, Architekt aus New York, Preisträger des Wettbewerbs für die Bebauung des Ground Zero und Architekt des jüdischen Museums in Berlin, konnte ich mir leider nicht abholen, da der folgende Sonntag unser letzter Tag in New York war.
Jeder Teilnehmer erhielt als Abschiedsgeschenk eine Tasche mit Sponsorenartikeln, der Musik-CD, die exklusiv für den Tag aus den Stücken der Bands zusammengestellt war und einem T-Shirt, das bei so einem Anlass natürlich immer gedruckt wird.
Aurelie Paradiso, Hannah Purdy und Victoria Walsh erläuterten mir in einem Gespräch das Konzept ihres Projekts „FlyNY“. Das „New York State Council on the Arts“ vergibt jedes Jahr 2500 Stipendien, sogenannte Grants, an Einzelpersonen oder Gruppen, die sich für die Vermittlung von Kunst an Kinder und Menschen, die sonst keinen Zugang zu Kunst und Kultur haben, einsetzen. Die drei jungen Architektinnen erarbeiteten das Konzept von FlyNY, stellten es dem Vergabegremium vor und erhielten einen Zuschuss für ihr Projekt. Das Ziel war die Begegnung und der Austausch von Künstlern, Architekten und Designern mit Kindern, deren Eltern, und allen, die Drachen bisher nur aus dem Fernsehen kannten.
Alle durch Sponsorengelder, Spenden und die Auktion erwirtschafteten Überschüsse wurden an die New Yorker Abteilung von „Architecture for humanity“ weitergegeben, eine Organisation, die Architektur und Architektenideen für das Gemeinwesen an Orten fördert, wo ansonsten nur Verwahrlosung und Chaos angetroffen werden. Solche Plätze gibt es an den Rändern der Stadt reichlich, die Hochglanzpolitur von Manhattan, eingeleitet von Bürgermeister Rudolph Giuliani und vollendet von Michael Bloomberg führte naturgemäß zu einer Verlagerung der Brennpunkte in andere Gebiete, die von Touristen besser nicht besucht werden.
Ein faszinierendes Konzept, das bei entsprechender Einbindung der Drachenszene und weiterer Architekturbüros, vielleicht sogar in übergreifender Projektarbeit vielversprechende Möglichkeiten bietet.
Am 28. Mai wurden die Drachen im Showrom der „Knoll international“, weltweit bekannter Hersteller und Händler hochwertiger Designermöbel, ausgestellt und versteigert. Ich bin gespannt, ob mein Drachen, der von einem Mitglied der American Kiteflyer Association für eine nach Aussage von Hannah Purdy „very generous donation „ erworben wurde, diesen Sommer auf einem Drachenfest in den USA auftaucht.
Ich möchte mich abschließend bei meinen Sponsoren von Volango und bei der Redaktion von Kite & Friends bedanken, das Honorar aus diesem Artikel geht direkt in die Reisekasse.
Die Reise nach New York war ein sehr eindrückliches Erlebnis und die Bestätigung dafür, dass man Grenzen überschreiten muss, um neue Horizonte zu erkennen.