top of page

2006 Japan Daimon Kite festival

28 th Etchu Diamon Kite Festival , der Tag an dem Daruma lacht

 

„It´s not a kite festival,- it´s a huge picnic“ war der erste Kommentar von Ramlal Tien, als ich ihm in Cervia erzählte, daß Sonja Graichen und ich zum Drachenfest in Diamon eingeladen sind.

 

Makoto Ohye, Präsident des Drachenclub von Diamon, hatte uns im Jahr zuvor an der italienischen Adria kennengelernt und da er jedes Jahr 2 Gäste zu seinem Festival einladen kann, fiel seine Wahl zu unserer großen Freude für 2006 auf uns.

 

Die Reise war vom örtlichen Veranstaltungskommitee in Verbindung mit einem deutschen Reisebüro perfekt organisiert, - an jedem Umsteigeairport stand ein Guide bereit, um uns und unser umfangreiches Gepäck persönlich auf den nächsten Reiseabschnitt zu bringen.

 

Am Inlandsflughafen Tokyo Hameda trafen wir dann wie angekündigt auf Masaaki Modegi, Präsident der japanischen Drachenflieger und seinen Sekretär Masami Fukuoka, die von hier ab auch als Dolmetscher für uns zur Verfügung standen.

 

Unser erster Tag war hauptsächlich mit einem Schaufliegen für Schüler einer Grund- und Mittelschule in einem städtischen Park ausgefüllt. Die Kinder hatten zuvor in verschiedenen Workshops zusammen mit japanischen Drachenbauern einfache Drachen hergestellt und die wurden dann mit viel Geschrei und Gerenne ausprobiert. Warum rennen Kinder überall in der Welt beim Drachensteigen, - selbst bei besten Windbedingungen? Die älteren Schüler nutzten die Gelegenheit, ihre Englischkenntnisse auszutesten, Interviews mit uns zu veranstalten und uns und unsere Drachen zu filmen.

Drachenfeste in Japan sind immer Angelegenheit der ganzen Stadt und so war es nur folgerichtig, dass wir in einer Pause zum Empfang beim Bürgermeister gebeten wurden und abends dann zusammen mit Ihm weiteren Würdenträgern in ein Nobelrestaurant eingeladen waren. Ich kann behaupten, noch nie so edel gespeist zu haben wie an diesem Abend. Jeder einzelne Gang war ein optisches und geschmackliches Meisterwerk.
 

 

 

Zwei japanische Verhaltensweisen sind hier zum erstem mal aufgefallen und haben uns dann für den Rest der Reise begleitet. Zum Ersten ist Pünktlichkeit ein absolutes Muss, zum Zweiten endet jedes Essen, jede Feier völlig abrupt, wenn ein ranghoher Teilnehmer die Veranstaltung für abgeschlossen erklärt. Das hindert aber den Rest der Gesellschaft nicht, dieses Ritual in einem anderen Restaurant von Neuem ablaufen zu lassen, jeder Abend in Japan bestand für uns aus mindestens drei Einzelveranstaltungen an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Teilnehmern.

 

Der Samstag war tagsüber leider völlig verregnet, so dass außer der offiziellen Eröffnung des Drachenfestes alle weiteren Programmpunkte abgesagt wurden.
 

 

Für uns war das eine gute Gelegenheit ein buddhistisches Kloster aus dem sechzehnten Jahrhundert zu besuchen und die Gesetzmäßigkeiten der traditionellen japanischen Holzarchitektur, welche uns Europäer immer wieder fasziniert, zu studieren. 
 


 

Abends wurde ein Empfang für alle auswärtigen Drachenflieger gegeben, wieder begleitet von Reden, Essen und Trinken sowie einer Auktion, die ich so schnell nicht vergessen werde.

Für uns Europäer völlig undenkbar endet das Bieten sofort, wenn ein Würdenträger, Bürgermeister oder gar ein Gast aus Deutschland zu erkennen gibt, dass es sich für einen bestimmten Drachen interessiert. Es ist in Japan einfach ein Gebot der Höflichkeit, sofort die eigenen Interessen hinten an zu stellen. Andere Länder, andere Sitten und für uns die einmalige Gelegenheit dieses Land nicht nur als Abziehbild für Touristen sondern aus der Mitte der Menschen heraus mit seinen Sitten und Bräuchen kennen zu lernen.
 

 

 

Im Anschluß an die Auktion gingen alle Drachenflieger zusammen durch das alte Zentrum von Diamon zum Fluß, um ein japanisches Feuerwerk zu bestaunen und den Abend dann mit einem weiteren Restaurantbesuch zu beenden, - man hatte ja schon seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen. Wer an solch einem Abend mit offenen Augen durch die Altstadt von Diamon geht, kann an allen möglichen Ecken Daruma, den Drachen der Stadt entdecken, in Schmiedeeisen als Brückengeländer, auf Glas als Straßenlaterne und sogar in Gußeisen als Kanaldeckel. Hier wird deutlich, welchen Stellenwert das Drachenfest in der Stadt hat und warum das Drachenfest auf den Plakaten als „ der Tag an dem Daruma lacht“ angekündigt wird.
 

 

 

Der Sonntag wartete dann mit traumhaftem Wetter auf, so daß einige tausend Teilnehmer und Zuschauer auf dem Festgelände zusammenkamen. Erst jetzt erschloß sich mir der Sinn der unzähligen Zelte, die schon vor Tagen am Rand der Drachenwiese aufgebaut wurden. Das waren alles beschattete Picknickplätze, und von morgens zehn bis in den späten Nachmittag wurde ununterbrochen gekocht, gegessen und getrunken.
 

Lukullus, römischer Gott der Schlemmer, wäre in seinem nächsten Leben sicher Japaner. Jakobsmuscheln, fangfrischer Fisch und jede Menge verschiedenes Meeresgetier, welches in Europa erst ab einem Michelinstern zu haben ist, wird hier noch beinahe zappelnd auf dem Gasgrill zubereitet. 
 

 

 

Aber es wurden auch Drachen geflogen. Was für ein Unterschied,- in Europa hat jeder Drachenflieger mindestens 20 Drachen, in Japan hat ein Drachen mindestens 20 Drachenflieger. Die große Masse der Drachen sind eher einfach gebaute Bambusedos mit bemalter Tyvekbespannung, einer Standhöhe von drei bis sechs Metern und recht kurzen Waagen mit ein- bis zweifacher Länge der Diagonale. Bei 2-2,5 bft war es allerdings ein mühsames Unterfangen, sind doch die Waagen eher auf 4-5 bft Seewind fix eingestellt und so endete der Flug der Drachen meist nach einem kurzen Sprint der gesamten Mannschaft.
 

 

 

 

Diese Mannschaften bestehen überwiegend aus Nachbarn eines Stadtviertels oder Mitarbeitern der gleichen Firma die „ihren“ Drachen präsentieren und so verwundert es nicht, das neben den klassischen Samurai Motiven plötzlich auch Mangas, sowie Werbungen für Tageszeitungen, Supermärkte und Autohäuser auftauchen. 433, 442 Man kann so auf Anhieb erkennen, dass sich die Grafik der Mangas direkt aus den Jahrhunderte alten Darstellungen der Kriegerkaste ableitet. 

 

Wir selbst konnten unsere Leichtwinddrachen für lange Zeit an den Himmel stellen und freuten uns über das Interesse, das völlig unabhängig von Sprachbarrieren Kommunikation über unser aller gemeinsames Thema möglich macht.

 

Natürlich gab es auch einzelne auserlesene Drachen international bekannter japanischer Drachenmeister wie Mikio Toki, Shoichi Igarashi, oder Teruyuki Yabe, die vom Artkite Festival 2000 in Detmold oder verschiedenen Auftritten auf Drachenfesten wie Cervia, Dieppe oder Sunderland bekannt sind. Das Zusammenspiel von Tradition, Kunst und handwerklicher Fertigkeit in diesen Drachen ist herausragend und macht für uns Europäer den besonderen Reiz dieser Meisterwerke aus.

 

 

 

 

Unnötig zu sagen, daß auch das Drachenfest auf den Uhrschlag genau endet und der Abend mit dem Besuch mehrerer Restaurant ausklang. 

 

 

 

Den folgenden Tag verbrachten wir nach kurzem Inlandsflug wieder in Tokyo, -Shopping, Sightseeing und der Besuch des Drachenmuseums vom Masaaki Modegi standen auf unserem Programm. Hier gibt es auf engstem Raum unzählige Schätze der asiatischen Drachenbaukunst zu bewundern, teilweise Jahrhunderte alte Drachen, die bei uns aus Büchern bekannt sind können hier als Originale bestaunt werden. Es sollte mich nicht wundern, wenn im folgenden Winter eine Anzahl japanischer Drachen aus dem mitgebrachten Washi und Bambus meiner Werkstatt entspringen würden.
 

 

 

Noch Wochen nach dieser Reise sprudeln die Bilder, Gespräche und Erinnerungen in mir hoch und ich möchte die Erfahrungen dieser Reise in ihrer Einmaligkeit nicht missen, haben sie doch meinen Horizont nicht nur als Drachenbauer sondern auch als Mensch ganz wesentlich erweitert. Besonders wertvoll war die Einsicht, dass Verhaltensweisen und Einstellungen, die für uns Mitteleuropäer unumstößlich scheinen, in anderen Kulturkreisen ganz anders beurteilt werden.

 

Mein Dank gilt allen, die Zeit und Geld eingebracht haben, diesen Austausch der Kulturen zu ermöglichen

Dieser Umstand bot uns die Möglichkeit, in den Morgenstunden die touristischen Attraktionen der Metropole zu besichtigen. So statteten wir dem Falkenmarkt, dem neuen Museum für Islamische Kunst und dem Bazar „Souk“ einen Besuch ab. Deutlich wird am Souk als ein für Touristen erstellten Handelsplatz das Fehlen von alten Gebäuden. Qatar ist ein sehr junges Land, dessen Staatsgründung erst 50 Jahre zurückliegt. Somit verfügt es noch kaum über eine geschriebene oder gebaute Geschichte, wie sie für uns selbstverständlich ist. Seit 2013 regiert der junge König Scheich Taminm das Land und die Regeln und Bestimmungen des streng islamischen Landes hinsichtlich Kleidungsvorschriften, Fotografiermöglichkeiten, Verhalten in der Öffentlichkeit und Kontaktaufnahme zur Bevölkerung lockern sich. Im Jahr 2022 werden die Fußballweltmeisterschaften in der Stadt ausgetragen und im Vorfeld werden unzählige Ereignisse wie eben das Drachenfest aber auch Sportveranstaltungen aller Art veranstaltet. Natürlich will man auch den Nachbarstaten Kuwait und Vereinigte Emirate nicht nachstehen, die in den vergangenen Jahren auch schon große Drachenfeste importiert und abgehalten haben. 
 Einzelne Drachenflieger haben mit dem einsetzenden Wind schon am späten Vormittag ihre Flugobjekte an den Himmel gestellt. Aber Zuschauer waren zu dieser Zeit noch nicht unterwegs. Das änderte sich täglich am frühen Nachmittag. Tausende waren unterwegs, und am Freitag, dem islamischen Feiertag, suchten Zehntausende den Aspire Park auf, erholten sich bei einem gemeinsamen Picknick und staunten über das Drachenfest. Anfangs noch sichtlich uninteressiert, nahmen die Besucher im Laufe der Woche immer begeisterter und aufgeschlossener teil. Wir Teilnehmer waren in der Lage, auch bei schwachem Wind um 15 km/h Drachen aus unserm Portfolio zu präsentieren und den Himmel mit Drachen aller Größen, Formen und Bauarten zu füllen.Von Daniela Zitzmanns kleinen Papierdrachen im DIN A4 Format bis zu den Großdrachen des französischen Teams Awita mit 35 m Baulänge, von den Kastendrachen des Australiers Michael Alvarez bis zu den Riesenbowls des Italieners Edoardo Borgetti von den Drachenensembles des Schweizer Teams Carpe Diem bis zu den filigranen Faltedos von Anke Sauer war die ganze Bandbreite des Drachenfliegens an einer Leine abgebildet. Katherina und Claudio hatten mit ihrer Auswahl an Teilnehmern ein glückliches Händchen, sodass die Zuschauer die ganze Vielfalt an Drachenkunst erleben durften. Unglaublich und für mich zum ersten Mal so erlebt war, dass ein gemeinsames Fliegen von über 100 Drachenfliegern mit so unterschiedlichen Drachen auf einem Flugfeld von 170 Metern im Quadrat ohne weitere Feldeinteilung in einem friedlichen und harmonischen Miteinander möglich war.Jeder der Teilnehmer hätte es nun verdient im Einzelnen vorgestellt zu werden, steht er doch für einen eigenständigen Ausdruck und hat im Laufe der letzten Jahre seine unverkennbare Bildsprache mit eigenen Drachenformen und Designs entwickelt. Aber das würde den Umfang dieses Artikels bei weitem sprengen und so bleibt im folgenden nur zwei Designer vorzustellen, die den meisten Lesern von Kites&Friends noch nicht bekannt sein dürften. Der 67-jährige Michael Goddard aus England ist in Sachen Drachenbau ein spät Berufener. Vor 10 Jahren habe ich Ihn beim Drachenfest in Bristol kennengelernt. Zu dieser Zeit gab der akademisch geschulte Fotograf und Grafikdesigner seine Lehrtätigkeit an der Hochschule auf und bereist nun mit und ohne Drachen, aber immer mit seiner Frau Fran Goddard, die Welt. Seine Anfänge im Drachendesign sind in der Architekturanalyse zu finden. Aus der fotografischen Abbildung von Architektur und Architekturdetails leitet er Grafiken ab, die er dann in meisterhafter Paneeltechnik in Drachensegel umsetzt. Unter Zuhilfenahme der begrenzten Farbpalette von Drachenstoffen schafft er einen Abstraktionsgrad der seine Drachen einzigartig und unverwechselbar macht. Nach einem kurzen Ausflug in die Malerei arbeitet er in jüngster Zeit verstärkt mit der Kamera und fotografiert mit Langzeitbelichtungen Lichter und Schatten in Bewegungen und in der Nacht. Durch Nachbearbeitung am Rechner erzeugt er mit Falschfarben und Überzeichnungen eine abstrakte Form- und Farbensprache, die im Drachendesign ohne Vorbild ist und die er mit Recht als seine Eigenentwicklung bezeichnen darf. Die Umsetzung auf das Drachensegel erfolgt nun durch Sublimationsdruck auf Icarex. Seine bevorzugte Drachenform für diese Technik ist derzeit der Posterdrachen, aber ich bin sicher dass bei der Wahl der Drachenform in nächster Zeit noch Neues zu erwarten ist. Die ganze Bandbreite seines Schaffens kann auf www.idesignkites.com erkundet werden.Das krasse Gegenteil zu den genau kalkulierten und ohne Zufälle gestalteten Drachen von Michale Goddard sind die Arbeiten von Kadek dwi Amika. Ich war 2014 beim Drachenfest in Dieppe fasziniert von den handwerklichen und gestalterischen Fähigkeiten des Drachenbauers aus Bali, der im Laufe der Drachenfestwoche vor Ort im Workshopzelt einen dreidimensionalen Körperdrachen erschuf und rechtzeitig zum Designwettbewerb in die Luft brachte. Im Gespräch hier in Doha hat er mir erklärt, dass er sein gestalterisches Rüstzeug an einer Hochschule erhalten hat und seinen Lebensunterhalt als Architekt verdient. Seine Drachen haben starke regionale Bezüge hinsichtlich der Wahl der Materialien aus der Natur, er verwendet zu großen Teilen Bambus, Blätter, Palmwedel und verschiedene Papiere, um seine erstaunlichen Kreationen umzusetzen. Die Formensprache ist aber völlig frei von historischen Reminiszensen zu balinesischen Drachen und entspringt allein seiner Fantasie. Da er natürlich nicht immer die Zeit und Gelegenheit hat, am Rande des Drachenfestes zu arbeiten, hat er in seinem Hardcase einige Blätterdrachen, die so konstruiert sind, dass sie zusammengelegt und abgebunden auch eine Flugreise rund um die halbe Welt aushalten. Diese Drachen hat er dem Publikum in Qatar nun vorgestellt.   Ich finde es immer wieder faszinierend, welche unterschiedlichen Herkünfte, Ausbildungen und Lebensumstände uns Drachenfliegern vorgegeben sind und wie wir uns auf Festen rund um den Erdball treffen, um den Himmel als Ausdrucksmöglichkeit unserer Fantasie und als Galerie für die Besucher zu nutzen. Für die Einladung möchte ich mich ganz herzlich bei der Familie Capelli bedanken, für die Umsetzung, die Gastfreundschaft und Finanzierung bei den Organisatoren und Sponsoren und für die gute Laune und das freundliche Miteinander bei den Drachenfliegern aus der ganzen Welt und der Delegation aus Deutschland. Wenn es ein nächstes Festival in Doha geben sollte, bin ich gerne wieder dabei ausrichten können. Als Veranstalter und Mäzen tritt die Aspire Group aus Doha auf.
Am Abend des 5. März trafen wir nach kurzem Bustransfer vom Flughafen im Hotel Intercontinental ein, wo wir die nächsten fünf Tage über alle Maße luxuriös und bequem untergebracht waren. Als reisende Drachenflieger haben wir alle schon viele Jugendherbergen, Studentenwohnheime und Hotels der 1 und 2 Sterne Kategorie erlebt. Ein Einzelzimmer mit 40 qm, ein Outdoorpool im 46sten Stock und eine Bar im 55sten Stock war bisher noch nicht dabei, geschweige denn ein mindestens 30 Meter langes Frühstücksbuffet mit Köstlichkeiten aus der ganzen Welt. Kurz und gut: wir waren bestens versorgt und auch alle Transfers zum Flugfeld klappten hervorragend und reibungslos.
Aufgrund der Hitze - es ist Frühling und tagsüber 30 ° warm - begann das Drachenfest täglich erst nach der Mittagszeit und dauerte bis lange in die früh einsetzende Dunkelheit an.
 
bottom of page