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2007 Basingstoke

Klein aber fein- das Basingstoke Kite Festival 2007

„Es ist die Entscheidung des Veranstalters, was er aus seinem Drachenfest macht: -versinkt es in Belanglosigkeit und Durchschnitt oder kann der Zuschauer am Ende des Drachenwochenendes lang anhaltende Eindrücke und Bilder mit nach Hause nehmen!“ So lautete die Zusammenfassung von Michel-Marie Bougard, Designer und Mitglied der Drachengruppe „les ailes du désir“, und er fügt hinzu: „dieser Veranstalter hat sich entschieden.“
 

 

Die „Loddon Valley Kite Flyers“, ein kleiner Drachenclub mit etwa 15 Mitgliedern, richtet jedes Jahr Anfang Juni auf dem städtischen Sportgelände von Basingstoke ein Fest aus, zu dem Alan Cosgrove, der Präsident immer einige Gäste vom Kontinent, vorzugsweise aus Frankreich, Holland oder Deutschland einlädt. Vervollständigt wird diese Gruppe durch Teams und Einzelpiloten aus dem Süden Englands. Mit reichlich englischem Humor und viel Fachwissen hat in diesem Jahr Stephen Hoath von den „Flying Squad“ dem Publikum die Darbietungen seines Teams, der Bristol Kite Flyers, der Pairs „Spectrum“ und „Close Encounters“ und der Gäste erläutert.
 

 

Die vierköpfige Gruppe „les ailes du désir“ (so lautet der französische Titel des Films von Wim Wenders „Himmel über Berlin“) hat ihre Ursprünge in den 80er Jahren und kann jedes Fest sowohl mit Einleinern als auch im Teamflug mit Zweileinern bereichern. Alle Drachen sind Entwürfe des Berufsgrafikers Bougard, der gleichartige Drachen mit aufeinander abgestimmten Designs zu Ensembles zusammenstellt. Die „umgedrehten“ Kreoris, als Leichtwinddrachen an diesem windarmen Wochenende immer wieder im Einsatz, belegen dies eindrucksvoll und zeugen von hoher gestalterischer Qualität. Auch im Teamflug bei minimalem Wind konnte die Gruppe ihre Jahrzehnte lange Routine unter Beweis stellen und verblüffte das Publikum mit hoher Präzision und Harmonie, immerhin stand die Gruppe 1997 beim den Europameisterschaften mit auf dem Treppchen.
 

 

 

Ganz anders und direkt aus dem neuen Jahrtausend ein junger Star am Drachenhimmel - Chris Goff fliegt seit seinem neunten Lebensjahr wettkampfmäßig Drachen. Er beherrscht sowohl den Fury 0.85 als auch den Rev 1, seine derzeitigen Arbeitsgeräte, so souverän, dass er selbst einen 360er noch mit einem halben Dutzend aktueller Tricks spickt, als wäre zum Drachenfliegen Wind nicht wirklich notwendig. Dabei wechselt er auch noch ansatzlos mitten in der Show von 2 auf 4 Leinen. Auf die Frage nach seinem Berufswunsch gibt es nur eine Antwort: „Kites“. Sowohl den künstlerischen als auch den technischen Entwurf von Drachen wird er ab diesem Herbst an einer Hochschule für Industriedesign in London studieren und so aller Voraussicht nach in die Fußstapfen seines Mentors Carl Robertshaw treten. 

 

 

 

 Dass er wirklich alle Arten von Drachen beherrscht, hat er in mehreren Durchgängen des Rokkaku Cups bewiesen. Alle Teilnehmer waren mit gleichem Material ausgestattet und Chris musste sich nur Jo Maurer, Seriengewinner mit dem Rokkaku und mein Reisekamerad für dieses Wochenende, geschlagen geben.





 

Wir beide haben zusammen verschiedene Wanwan, Edo und Brogden in den Himmel gezogen und so unseren Teil zum Gelingen des Festes beigetragen können. Insbesondere das elegante Erscheinungsbild des Brogden in der Variante von Herrmann Reincke hat viele Engländer fasziniert. Ein Strahlen ging über ihr Gesicht, als sie erfuhren, dass es sich dabei um einen englischen Drachen aus den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts handelt.



 

Schön ein Drachenfest zu erleben, bei dem eine gute Drachenshow im Vordergrund steht und nicht der massenhafte Verkauf von Pommes und Bier das Zentrum des Geschehens ausmacht; den „Loddon Valley Kite Flyers „ kann man nur wünschen, dass dies noch lange so bleibt.

Dieser Umstand bot uns die Möglichkeit, in den Morgenstunden die touristischen Attraktionen der Metropole zu besichtigen. So statteten wir dem Falkenmarkt, dem neuen Museum für Islamische Kunst und dem Bazar „Souk“ einen Besuch ab. Deutlich wird am Souk als ein für Touristen erstellten Handelsplatz das Fehlen von alten Gebäuden. Qatar ist ein sehr junges Land, dessen Staatsgründung erst 50 Jahre zurückliegt. Somit verfügt es noch kaum über eine geschriebene oder gebaute Geschichte, wie sie für uns selbstverständlich ist. Seit 2013 regiert der junge König Scheich Taminm das Land und die Regeln und Bestimmungen des streng islamischen Landes hinsichtlich Kleidungsvorschriften, Fotografiermöglichkeiten, Verhalten in der Öffentlichkeit und Kontaktaufnahme zur Bevölkerung lockern sich. Im Jahr 2022 werden die Fußballweltmeisterschaften in der Stadt ausgetragen und im Vorfeld werden unzählige Ereignisse wie eben das Drachenfest aber auch Sportveranstaltungen aller Art veranstaltet. Natürlich will man auch den Nachbarstaten Kuwait und Vereinigte Emirate nicht nachstehen, die in den vergangenen Jahren auch schon große Drachenfeste importiert und abgehalten haben. 
 Einzelne Drachenflieger haben mit dem einsetzenden Wind schon am späten Vormittag ihre Flugobjekte an den Himmel gestellt. Aber Zuschauer waren zu dieser Zeit noch nicht unterwegs. Das änderte sich täglich am frühen Nachmittag. Tausende waren unterwegs, und am Freitag, dem islamischen Feiertag, suchten Zehntausende den Aspire Park auf, erholten sich bei einem gemeinsamen Picknick und staunten über das Drachenfest. Anfangs noch sichtlich uninteressiert, nahmen die Besucher im Laufe der Woche immer begeisterter und aufgeschlossener teil. Wir Teilnehmer waren in der Lage, auch bei schwachem Wind um 15 km/h Drachen aus unserm Portfolio zu präsentieren und den Himmel mit Drachen aller Größen, Formen und Bauarten zu füllen.Von Daniela Zitzmanns kleinen Papierdrachen im DIN A4 Format bis zu den Großdrachen des französischen Teams Awita mit 35 m Baulänge, von den Kastendrachen des Australiers Michael Alvarez bis zu den Riesenbowls des Italieners Edoardo Borgetti von den Drachenensembles des Schweizer Teams Carpe Diem bis zu den filigranen Faltedos von Anke Sauer war die ganze Bandbreite des Drachenfliegens an einer Leine abgebildet. Katherina und Claudio hatten mit ihrer Auswahl an Teilnehmern ein glückliches Händchen, sodass die Zuschauer die ganze Vielfalt an Drachenkunst erleben durften. Unglaublich und für mich zum ersten Mal so erlebt war, dass ein gemeinsames Fliegen von über 100 Drachenfliegern mit so unterschiedlichen Drachen auf einem Flugfeld von 170 Metern im Quadrat ohne weitere Feldeinteilung in einem friedlichen und harmonischen Miteinander möglich war.Jeder der Teilnehmer hätte es nun verdient im Einzelnen vorgestellt zu werden, steht er doch für einen eigenständigen Ausdruck und hat im Laufe der letzten Jahre seine unverkennbare Bildsprache mit eigenen Drachenformen und Designs entwickelt. Aber das würde den Umfang dieses Artikels bei weitem sprengen und so bleibt im folgenden nur zwei Designer vorzustellen, die den meisten Lesern von Kites&Friends noch nicht bekannt sein dürften. Der 67-jährige Michael Goddard aus England ist in Sachen Drachenbau ein spät Berufener. Vor 10 Jahren habe ich Ihn beim Drachenfest in Bristol kennengelernt. Zu dieser Zeit gab der akademisch geschulte Fotograf und Grafikdesigner seine Lehrtätigkeit an der Hochschule auf und bereist nun mit und ohne Drachen, aber immer mit seiner Frau Fran Goddard, die Welt. Seine Anfänge im Drachendesign sind in der Architekturanalyse zu finden. Aus der fotografischen Abbildung von Architektur und Architekturdetails leitet er Grafiken ab, die er dann in meisterhafter Paneeltechnik in Drachensegel umsetzt. Unter Zuhilfenahme der begrenzten Farbpalette von Drachenstoffen schafft er einen Abstraktionsgrad der seine Drachen einzigartig und unverwechselbar macht. Nach einem kurzen Ausflug in die Malerei arbeitet er in jüngster Zeit verstärkt mit der Kamera und fotografiert mit Langzeitbelichtungen Lichter und Schatten in Bewegungen und in der Nacht. Durch Nachbearbeitung am Rechner erzeugt er mit Falschfarben und Überzeichnungen eine abstrakte Form- und Farbensprache, die im Drachendesign ohne Vorbild ist und die er mit Recht als seine Eigenentwicklung bezeichnen darf. Die Umsetzung auf das Drachensegel erfolgt nun durch Sublimationsdruck auf Icarex. Seine bevorzugte Drachenform für diese Technik ist derzeit der Posterdrachen, aber ich bin sicher dass bei der Wahl der Drachenform in nächster Zeit noch Neues zu erwarten ist. Die ganze Bandbreite seines Schaffens kann auf www.idesignkites.com erkundet werden.Das krasse Gegenteil zu den genau kalkulierten und ohne Zufälle gestalteten Drachen von Michale Goddard sind die Arbeiten von Kadek dwi Amika. Ich war 2014 beim Drachenfest in Dieppe fasziniert von den handwerklichen und gestalterischen Fähigkeiten des Drachenbauers aus Bali, der im Laufe der Drachenfestwoche vor Ort im Workshopzelt einen dreidimensionalen Körperdrachen erschuf und rechtzeitig zum Designwettbewerb in die Luft brachte. Im Gespräch hier in Doha hat er mir erklärt, dass er sein gestalterisches Rüstzeug an einer Hochschule erhalten hat und seinen Lebensunterhalt als Architekt verdient. Seine Drachen haben starke regionale Bezüge hinsichtlich der Wahl der Materialien aus der Natur, er verwendet zu großen Teilen Bambus, Blätter, Palmwedel und verschiedene Papiere, um seine erstaunlichen Kreationen umzusetzen. Die Formensprache ist aber völlig frei von historischen Reminiszensen zu balinesischen Drachen und entspringt allein seiner Fantasie. Da er natürlich nicht immer die Zeit und Gelegenheit hat, am Rande des Drachenfestes zu arbeiten, hat er in seinem Hardcase einige Blätterdrachen, die so konstruiert sind, dass sie zusammengelegt und abgebunden auch eine Flugreise rund um die halbe Welt aushalten. Diese Drachen hat er dem Publikum in Qatar nun vorgestellt.   Ich finde es immer wieder faszinierend, welche unterschiedlichen Herkünfte, Ausbildungen und Lebensumstände uns Drachenfliegern vorgegeben sind und wie wir uns auf Festen rund um den Erdball treffen, um den Himmel als Ausdrucksmöglichkeit unserer Fantasie und als Galerie für die Besucher zu nutzen. Für die Einladung möchte ich mich ganz herzlich bei der Familie Capelli bedanken, für die Umsetzung, die Gastfreundschaft und Finanzierung bei den Organisatoren und Sponsoren und für die gute Laune und das freundliche Miteinander bei den Drachenfliegern aus der ganzen Welt und der Delegation aus Deutschland. Wenn es ein nächstes Festival in Doha geben sollte, bin ich gerne wieder dabei ausrichten können. Als Veranstalter und Mäzen tritt die Aspire Group aus Doha auf.
Am Abend des 5. März trafen wir nach kurzem Bustransfer vom Flughafen im Hotel Intercontinental ein, wo wir die nächsten fünf Tage über alle Maße luxuriös und bequem untergebracht waren. Als reisende Drachenflieger haben wir alle schon viele Jugendherbergen, Studentenwohnheime und Hotels der 1 und 2 Sterne Kategorie erlebt. Ein Einzelzimmer mit 40 qm, ein Outdoorpool im 46sten Stock und eine Bar im 55sten Stock war bisher noch nicht dabei, geschweige denn ein mindestens 30 Meter langes Frühstücksbuffet mit Köstlichkeiten aus der ganzen Welt. Kurz und gut: wir waren bestens versorgt und auch alle Transfers zum Flugfeld klappten hervorragend und reibungslos.
Aufgrund der Hitze - es ist Frühling und tagsüber 30 ° warm - begann das Drachenfest täglich erst nach der Mittagszeit und dauerte bis lange in die früh einsetzende Dunkelheit an.
 
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